Rehwildhege im Siebengebirge

Die Jäger des Hegerings Siebengebirge e.V. beschäftigen sich bereits über viele Jahre mit der Schönheit des Siebengebirges und der Besonderheiten von Flora und Fauna. Im Rahmen einer Diskussion wurden einige interessante Gedanken erörtert. Einige der Aspekte werden im Folgenden noch einmal wiedergegeben.

Die Veränderungen der Kulturlandschaft unter Aspekten der Rehwildhege im Siebengebirge und angrenzenden Gebieten

Noch vor 1500 Jahren waren Eifel, Westerwald, das Siebengebirge und das Rheintal von geschlossenen Wäldern bedeckt. In den Höhenlagen stockten Buchen- und Eichenwälder, an den vulkanischen Schutthängen herrschten Edelholzwälder, in Bach- und Flußauen besonders angepaßte Weich- und Hartholz-Auewälder vor.

Seit der Fränkischen Landnahme im 6.Jahrhundert veränderte sich das Landschaftsbild bis heute elementar. Abgesehen von den drei großen Waldgebieten Ennert, Siebengebirge und Honnef-Linzer Waldhöhen, prägen landwirtschaftliche Nutzflächen den übrigen Bereich der Region, sofern die Flächen nicht völlig zersiedelt sind.

Ein kurzer historischer Abriß der Waldgeschichte verdeutlicht den immensen Wandel zur heutigen Kulturlandschaft.

Seit dem frühen Mittelalter wurde in den Rheintalgemeinden das knappe Ackerland durch ausgedehnte Waldallmenden ergänzt. Extensive Viehzucht herrschte vor, man nutzte den Wald neben der Holzentnahme im Sommer als Waldweide und im Herbst zur Eckern- und Eichelmast. Ganzjährig wurde Stallstreu aus dem Wald geholt.

Außerdem breitete sich der Weinbau in den Hanglagen aus. Dafür wurden die Hänge großflächig gerodet, in den angrenzenden Buchenwäldern die Weinberg-pfähle, die Ramen geschnitten. Heute noch sind die alten, gestutzten Kopf-buchen oberhalb von Ramersdorf zu finden. Im 14. Jahrhundert nahm der Weinbau im Siebengebirge einen so großen Teil der landwirtschaftlichen Flächen ein, daß die Versorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln aus der eigenen Produktion nicht mehr gewährleistet war.

1850 betrug die Rebfläche im Siebengebirge trotz mehrerer Lauskalamitäten immer noch unglaubliche 400 ha, heute sind es gerade einmal 10 ha.

Der Viehbestand wurde weiterhin hochgehalten, da man einerseits Dünger für die Weinberge und im vorwiegend ackerbaulich genutzten Pleiser Ländchen Zugtiere für die Feldarbeit benötigte. Dort waren Reste von Wäldern erhalten geblieben, die als Bauernwälder im wesentlichen private Niederwälder waren. Niederwaldwirtschaft wurde aber vor allem professionell in den noch geschlossenen Waldgebieten des Siebengebirges als Hauberg-Wirtschaft betrieben, wobei Eichenwälder der Lohegewinnung, die Buchenwälder vorwiegend der Holzkohle- und Pottaschegewinnung dienten. Letzteres war durch die Siegburger Töpfer-Manufaktur ein besonders lohnendes Geschäft, da beides für die Glasur der Töpferwaren notwendig war.

 

Dazu benötigte der im Siebengebirge großräumig entwickelte Bergbau Holz in großen Mengen.

Faßt man diese Einwirkungen auf die Wälder zusammen, ergeben sich daraus noch heute beobachtbare landschaftsökologische Konsequenzen:

 

Der Raubbau am Wald trat in der Region Ende des 19.Jahrhunderts so stark in Erscheinung, daß z.B. 1882 im Honnefer Gemeindewald jegliche Streunutzung verboten wurde. Ausgedehnte Heideflächen mit Wacholder prägten vielfach das Landschaftsbild. Auf den z.T. extrem ausgemergelten Waldböden konnten häufig nur Kiefern, später auch Fichten gedeihen. Mitte der 60er Jahre waren so ca. 50% des Baumbestandes des Siebengebirges Nadelbäume.

Die ehemaligen Bauernwälder waren inzwischen derart überformt, daß sie eher einem Sammelsurium an Bäumen glichen als natürlichen Waldgesellschaften.

Urwälder gibt es heute keine mehr im Siebengebirge, dennoch aber viele naturnahe Ausbildungen potentiell standortgerechte Wälder. Das ist vor allem dem Umstand zu verdanken, daß das Siebengebirge 1922 Naturschutzgebiet wurde. Der unkontrollierten Landschaftszerstörung wurde dadurch Einhalt geboten.

Im Siebengebirge sind die unterschiedlichsten Buchenwälder der collinen und submontanen Höhenstufe entwickelt: Hainsimsen-Buchenwälder auf saurem Gestein, Perlgras-Buchenwälder auf basischem Grund. Edelhölzer wie die Winterlinde, der Berg-Ahorn und die Esche bauen die Waldgesellschaften der Schuttfluren und Steinbrüche auf, Erlen-Eschenwälder begleiten die Bach-auen. Stieleichen-Buchen-Mischwälder sind nur auf staunassen Plateaus natür-liche Ausbildungen. Die übrigen Eichen- und Eichen-Hainbuchenbestände sind bis auf einige wärmeliebende Traubeneichen-Wälder in trockenen, süd-exponierten Lagen meist halbnatürlich dort entstanden, wo die Buche reduziert oder vernichtet wurde. Naturfern-künstlich sind die Roteichen-, Kiefern- und Fichtenforste sowie Ersatzgesellschaften in Form von Birken-, Kiefern- und Robinien-Mischbeständen. Seit Mitte der 70er Jahre bemüht sich das Regionalforstamt Rhein-Sieg-Erft zunehmend an der naturnahen Regeneration und ökologischen Bewirtschaftung der Siebengebirgswälder.

Diesen kulturellen Überformungen der Landschaft durch den Menschen war das Wild permanent ausgeliefert.

Während als anerkannter Kenner des Rehwildes, Ferdinand von Raesfeld, jahrzehntelang die Wurzeln der Probleme mit Rehwildbeständen

in einer fehlerhaften Bejagung sah, interpretiert man seit Mitte der 80er Jahre diese Phänomene eher als Folgen tiefgreifender Veränderungen im Lebensraum der Tiere und unsachgemäßer Hegemaßnahmen.

Auslöser dieses Meinungswandels waren Ergebnisse langjähriger Untersuchun-gen von Reimoser in drei Rehwildregionen im Wienerwald, die 1984 veröffentlicht wurden:

Rehwildhege-Siebengebirge-Diagramm

Man sieht auf einen Blick, daß in Region III wenige Rehe großen Schaden anrichten, da die Verbißschadensanfälligkeit des Jungwuchses einerseits groß ist, andererseits jedoch die Populationsdichte im Verhältnis zur Tragfähigkeit der Region II offensichtlich zu hoch ist. Außerdem wird klar, daß der bevorzugte Lebensraum die halboffene Fläche ist.                                                      

Das kann man nur verstehen, wenn man die natürlichen Standortansprüche dieser empfindlichen zugleich aber auch sehr anpassungsfähigen Tiere kennt:  

Das Reh ist ein Tier der Buschrandzonen, also der Waldsäume und offenen Buschgruppen. Es hat nachweislich Rinie geschlossenen Waldlandschaften oder Grassteppen bewohnt und diese Lebensgewohnheit bis heute bewahrt. Sein Körperbau zeigt typische Merkmale des „Schlüpfers“ und „Drückers“ im zoologischen Sinne: eine gekrümmte Rückenlinie, das niedrig getragene Haupt und die wesentlich längeren Hinterläufe als die Vorderläufe. Diese anatomischen Einrichtungen erleichtern das gewandte Schlüpfen durch das Unterholz und erlauben Fluchten auf kurzer Distanz mit gewaltigen Sprüngen im unwegsamen Gelände.

Das Rotwild als „Läufer“ im Vergleich: mit geradem Rücken, hohem Haupt und etwa gleichlangen Vorder- und Hinterläufen.

Die zuvor geschilderte Veränderung der Landschaftstruktur durch den Menschen über die Jahrhunderte hat die Verbreitung des Rehwildes entscheidend gefördert. Der Besiedlungsanreiz steigt für das Rehwild mit der Zunahme der Bebuschung und halboffenen Flächen, allerdings ist die Äsungska-pazität solcher Flächen sehr variabel. Die Tragfähigkeit einer Region kann dadurch u.U. schnell überschritten werden, wenn deren Besiedlungsanreiz die Rehpopulation permanent ansteigen läßt.

Dieses Verhältnis äußert sich nach Ueckermann hervorragend am durchschnittlichen Körpergewicht der Tiere, das nach seinen Untersuchungen als Tragfähigkeitsindikator angesehen werden kann:

Grundlage sind 3-jährige Böcke: Minimum 13kg Körpergewicht: schlechtes Verhältnis von erreichbarem Äsungsangebot / Besiedlungsanreiz; Maximum 20kg Körpergewicht: gutes Verhältnis von erreichbarem Äsungsangebot / Besiedlungsanreiz.

Je mehr Feldgrenzanteil, artenreiche Wiesenfläche, naturnaher Laubbaumbestand und Böden hoher Güte in einem Landschaftsbereich vorhanden sind, desto höher ist das Durchschnittsgewicht der Tiere.

Bevorzugte Lebensräume des Rehwildes sind demnach Gemengelagen von Wald mit dichtem Unterholz und offenem Gelände mit Buschwerk. In Laubholz-Niederwaldungen mit von Kräutern und Sträuchern bestockten Schneisen und Wegrändern, auf verbuschenden Windwurfflächen fühlt es sich wohl. Hier stimmen Deckung und Äsung.

Vielfach sind zwar die Gemengelagen vorhanden, aber in der Regel fehlen entwickelte Waldsäume oder Vernetzungen mit Gebüschen in den Kulturflächen. Artenreiche Krautbestände in der Wirtschaftsflur sind selten. Nieder-waldwirtschaft wird nicht mehr oder sehr selten, dann aber nur kleinräumig, praktiziert. Dadurch fehlen in den Wäldern vielfach Laubbaum-Dickungen. Statt dessen sind viele Bestände selbst in kleinsten Arealen zu Hallenwäldern durchgewachsen.

Aus diesem Grunde konzentriert sich das Rehwild auf die in der Landschaft verbliebenen hochattraktiven, aber relativ kleinen Lebensräume, die dann mit allen Konsequenzen hoffnungslos überbesiedelt sind.

Hinzu kommt ein erst seit neuestem erforschter jahreszeitenabhägiger Einstandszyklus des weiblichen Rehwildes, der durch Äsungs- und Deckungsanspruch gesteuert wird. Die oft beobachtete Einstandsuntreue ist vielfach nur die fehlgedeutete Beobachtung eines natürlichen Verhaltens. Die Ansprüche an die Landschaftsvielfalt und den Artenreichtum sind beim Rehwild kaum zu übertreffen.

Der tägliche Bedarf des Rehes an Grünäsung liegt bei ca. 4kg. Darin müssen mindestens 40gr Eiweiß, 350gr Kohlenhydrate und Fette und 3gr Kalk enthalten sein. Je nach Jahreszeit suchen sich die Tiere instinktiv und durch Lernerfahrung ganz speziell die Pflanzenteile aus, die diese Kriterien erfüllen. Außerdem sollen sie einen möglichst hohen Vitamingehalt der Vitamine B,C und D enthalten. Das ist insbesondere für die Gehörn- und Fellbildung wichtig.

Rehwild weidet nicht, sondern es wählt aus.

Ebenso kommt es beim Reh zu spezifischen, des sich jahreszeitlich ändernden Äsungangebotes angepaßten Veränderungen im Magen-Darmtrakt der Tiere. Somit ist neben dem hohen Protein- und Vitamingehalt der Äsung ihre spezifische Verdaulichkeit ein entscheidender Gesundheitsfaktor: d.h., daß der Verdauungsapparat der Tiere im Winter auf schwer verdauliche, z.B. holzreiche, also ballastreiche Kost natürlich eingestellt ist und nicht auf leichter verdauliche Sommeräsung

Die monostrukturierenden Eingriffe in die Landschaft, sowie die immer stärker werdenden und länger andauernde Beeinträchtigung der potentiellen Ruhe- und Äsungszonen durch Wanderer, Pilzsucher, Jogger, Mountainbiker und Reiter, also Menschenmassen, die ihre Freizeit im Siebengebirge und seinen Randzonen verbringen, haben das Reh regional nicht nur in die Fichten-dickungen getrieben sondern auch vom tagaktiven zum dämmerungs- und nachtaktiven Wild werden lassen. Die punktuell zu hohe Populationsdichte und die andauernde Beunruhigung setzen die Tiere hohem Stress aus, der sich in allem ungünstig auswirkt.  

Problematisch sind für das Reh in diesem Zusammenhang:

   Insbesondere die Bucheckern spielen aufgrund ihres hohen Nährwertes und

     Kalkgehaltes in der Winterfütterung eine große Rolle.

Aufgrund dieser Zusammenhänge liegen die wesentlichen Hegemaßnahmen neben einer sachgemäßen Bejagung für einen vitalen Rehwildbestand auf der Hand. Umdenken und Handeln in dieser Hinsicht ist Naturschutz vom Feinsten.